Wortlaut der Wahlrede im Urteil
Für die Berufs- und Anwaltsrichter im AGH ist eine Wahlbeeinflussung möglich und nicht nur fernliegend. Der AGH wendet damit die Rechtsprechung aus dem Kommunalrecht zu Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen an. Der vollständige Wortlaut des Rechenschaftsberichts, der zur beeinflussenden Wahlkampfrede geworden sein soll, kann im Urteil nachgelesen werden (AGH Hamm, Urteil vom 14. Dezember 2018 – 1 AGH 39/17, AnwBl Online 2019, 78).
Bei der Wahl zum Vorstand kämpften 27 Kandidatinnen und Kandidaten um die 15 Vorstandsplätze. Die beiden Kläger, Rechtsanwalt Dr. Karl-Heinz Göpfert und Rechtsanwalt Dr. Jochen Heide waren als Kandidaten der Wahlinitiative „Aufbruch 2017“ angetreten, wurden aber nicht gewählt. Jetzt könnten die Karten in Düsseldorf noch einmal neu gemischt werden. Der Anwaltsgerichtshof Hamm hat die Wahl zum Vorstand der beklagten Rechtsanwaltskammer Düsseldorf vom 26. April 2017 für ungültig erklärt. Wird die Entscheidung rechtskräftig, muss neu gewählt werde. Allerdings: Die Berufung zum Anwaltssenat hat der AGH Hamm nicht zugelassen, so dass jetzt – wenn das Verfahren vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf fortgeführt wird – zunächst die Hürde der Berufungszulassung genommen werden. Auf jeden Fall bleiben die 2017 gewählten Vorstandsmitglieder bis zur Rechtskraft im Amt. Nicht betroffen von der Entscheidung ist die zweite Hälfte des Kammervorstands, die 2015 gewählt worden war.
Die BRAO regelt Wahlanfechtung
Die Bundesrechtsanwaltsordnung sieht die Möglichkeit der Wahlanfechtung in § 112f BRAO vor. Danach können Wahlen für ungültig erklärt werden, wenn sie unter Verletzung des Gesetzes oder der Satzung zustande gekommen sind oder wenn sie ihrem Inhalt nach mit dem Gesetz oder der Satzung nicht vereinbar sind. Solch einen Grund hat der AGH Hamm bejaht. Allerdings blieb am Ende nur die Wahlbeeinflussung durch eine „Wahlkampfrede“.
Liste von Anfechtungsgründen: Drunter und drüber bei der Wahl, …
Die Vorwürfe der Kläger lauteten zum einen, dass die Wahl völlig „chaotisch“ abgelaufen sei und formelle Mindeststandards nicht eingehalten wurden. Es seien unter anderem Wahlunterlagen ohne Prüfung der Identität herausgegeben worden. Stimmzettel seien weitergegeben oder einfach liegen gelassen worden, eine Kontrolle der Wahlabläufe habe nicht stattgefunden.
… verunglimpfende Veröffentlichungen durch Anwaltvereine …
Die Kläger wehrten sich auch gegen Veröffentlichungen durch verschiedene Anwaltvereine im Vorfeld der Wahl. Diese hätte sich mit Rundschreiben an die Mitglieder gewandt und einige der Kandidaten „verunglimpft“.
... und unzulässige Eigenwerbung
Auch der Vorwurf der sittenwidrigen Wahlbeeinflussung stand im Raum. Hier musste insbesondere der damalige und in den Vorstand wiedergewählte Kammerpräsident Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons Kritik einstecken. Er soll auf der Kammerversammlung seinen Rechenschaftsbericht zur unzulässigen Wahlwerbung genutzt haben. Nicht nur habe er einige Kandidaten persönlich angegriffen, er habe die Redezeit zur Werbung für seine eigene Kandidatur missbraucht und die Erfolge der Kammer bei der Abarbeitung von Syndikusrechtsanwalts-Zulassungsanträgen und bei der Bewältigung der Kammerarbeit hervorgehoben. Moniert wurde auch, dass sein „Vortrag – die Wahlrede“ eine Vielzahl von Auslassungen und Fehldarstellungen enthalten habe.
Pauschale Rügen und Einzelfallbeobachtungen
Auch der Anwaltsgerichtshof Hamm störte sich an dieser „Wahlkampfrede“. Die Wahlanfechtung hielt er daher auch für begründet. Die Rügen zum formellen Verfahren griffen dagegen nicht durch und spielten auch in der mündlichen Verhandlung am 14. September 2018 keine große Rolle. Im Urteil heißt es dazu: „Die Rügen der Kläger sind im Wesentlichen pauschaler Natur („Chaos“ in der Kammerversammlung) oder beschränken sich auf Einzelfallbeobachtungen. Sie lassen insgesamt nicht die Annahme zu, dass gerügte Fehler, die den Ablauf der Wahl betreffen, für das Wahlergebnis ausschlaggebend gewesen sein könnten.“
Keine Wahlbeeinflussung im Vorfeld
Auch Meinungsäußerungen im Vorfeld der Kammerversammlung durch Anwaltvereine an ihre Mitglieder hätten die Wahlen nicht in rechtswidriger Weise beeinflusst, so der Anwaltsgerichtshof Hamm. Anwaltvereine dürften durchaus für Wahlvorschläge werben. Sie seien nämlich keine Institutionen mit „besonderer Neutralitätspflicht“. Es stünde ihnen frei, bestimmte Kandidaten zu unterstützen, andere nicht (siehe hierzu auch AGH Berlin, AnwBl Online 2017, 13 sowie der BGH, Anwaltsblatt-Meldung). Es sei nicht ersichtlich, dass durch die Wahlempfehlung von Anwaltvereinen eine Beschränkung des Vorschlagsrechts oder der Wählbarkeit einzelner Kammermitglieder verbunden gewesen wäre.
„Staatliche Einflussnahme“ durch Wahlrede des Präsidenten
Übrig blieb dann nur noch der Vorwurf der unzulässigen Wahlbeeinflussung durch den Rechenschaftsbericht. Und der hatte es im Gegensatz zu den anderen Punkten in sich. Der Anwaltsgerichtshof Hamm sah in dem Bericht eine „staatliche Einflussnahme“ durch den Kammerpräsidenten. Unter Berücksichtigung der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sei in mehr als unerheblichem Maße auf den Wählerwillen eingewirkt worden. Rechtsanwaltskammern genössen zwar als Bestandteil der mittelbaren Staatsverwaltung Eigenständigkeit. Dies habe der Gesetzgeber zulässigerweise bei der Regelung der Wahlmodalitäten berücksichtigt und dabei ausdrücklich die Satzungsautonomie der Rechtsanwaltskammer beachtet. Die Wahlen in der Kammerversammlung unterlägen aber gleichwohl den tragenden Grundsätzen, die an staatliche Wahlen zu stellen seien. In einer Körperschaft mit Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflicht seien die Mitglieder des Repräsentativorgans entsprechend demokratischen Grundsätzen durch Wahlberechtigung nach dem Verhältniswahlsystem zu wählen. Bei der Durchführung der Wahlen seien demokratische Wahlgrundsätze anzuwenden.
Rede als Amtsautorität
Zu dem in der Kammerversammlung abzugebenden Rechenschaftsbericht des Vorstands enthalten die Vorschriften der BRAO keine Vorgaben. Er soll einen Überblick über die Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung geben. Dieses Sachwissen sei für die Ausübung des Wahlrechts erforderlich. Der Anwaltsgerichtshof Hamm ließ dahin gestellt, ob der Präsident der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf seinen Rechenschaftsbericht als Kammerpräsident gehalten hat oder er im Hinblick auf den Ablauf der 4-jährigen Amtsperiode beim Rechenschaftsbericht nicht mehr im Amt war. Jedenfalls habe er mit der Berichterstattung Amtsautorität in Anspruch genommen.
Verstoß gegen Neutralitätspflicht – Wahl ungültig
Die Rede habe in weiten Teilen nicht dem üblichen Inhalt eines Rechenschaftsberichts entsprochen. Sie stelle sich vielmehr als Wahlrede beziehungsweise kritische Auseinandersetzung mit anderen Wahlbewerbern dar, wie er anhand verschiedener Textzeilen im Einzelnen ausführt. Der Rechenschaftsbericht habe in nicht unbeträchtlichen Teilen der Darstellung der eigenen besonders positiv gezeichneten Leistungen und der Herabsetzung anderer gedient. Der vorliegende Wahlverstoß gegen die Neutralitätspflicht führe zur Ungültigkeit der Wahl.
Anfechtungen von Kammerwahlen? Kein singuläres Ereignis
Dass Wahlen zum Kammervorstand angefochten werden, kommt übrigens immer wieder vor. Manchmal sind sie auch erfolgreich, wie der Fall aus Hamburg zeigt: Der AGH Hamburg hatte einst einen jährlichen Wahlmodus beanstandet (AGH Hamburg, AnwBl Online 2009, 94). Und bei der Rechtsanwaltskammer soll vor vielen Jahren auch schon einmal eine Wahlanfechtung erfolgreich gewesen sein, in der der Kammervorstand gegen den Protest eines Mitglieds en bloc gewählt worden war.