
DAV-Präsident Ulrich Schellenberg erläuterte zu Beginn der Veranstaltung, der Hauptanspruch, den wir an uns selbst stellen – gesellschaftlich und persönlich – sei es, aus der Geschichte zu lernen und zwar als fortwährender Prozess. „Wenn es also heißt: Wir haben aus unserer Geschichte gelernt, dann sollten wir eigentlich entgegnen: Wir lernen aus unserer Geschichte“, so Schellenberg. Ganz in diesem Sinne stellte Anna Weingärtner, Abiturientin vom Humboldt-Gymnasium Ulm ihre mit dem ersten Preis ausgezeichnete Arbeit vor. Sie beschäftigt sich mit dem Lebensweg von Dr. Gerhard Klopfer, einem NS-Staatsekretär und SS-Oberführer, der nach 1945 als Rechtsanwalt tätig war und als solcher, wie Weingärtner feststellte, ein „politisch unauffälliges Leben führte.“ Damit stehe Klopfer, laut Weingärtner, für viele NS-Täter, die für ihre überzeugte Mitarbeit und Unterstützung von unvorstellbaren Grausamkeiten nicht zur Rechenschaft gezogen worden seien.
In der unmittelbar anschließenden, von der Direktorin des Fritz Bauer Instituts Prof. Dr. Sybille Steinbacher moderierten Diskussionsrunde, setzte sich Herr Prof. Dr. Norbert Frei (Universität Jena) zunächst kritisch mit dem Begriff Erinnerungskultur auseinander. Diese führe zwar zu einer großen Aufmerksamkeit für Gedenkveranstaltungen, eine fundierte und umfassende Beschäftigung mit historischen Hintergründen und Fakten finde aber selten statt.
Daran schloss BGH-Präsidentin Bettina Limperg als Schirmherrin des DAV-Schülerwettbewerbs an: Die Gedenktafel im BGH sei ein Ausdruck einer Erinnerungskultur der anderen Art, die damals als solche anerkannt war und erst mit der Zeit kritisch beleuchtet wurde. Aus diesem Grund seien nun zwei Forschungsprojekte beim BGH in Arbeit, die sich sowohl mit der personellen Kontinuität in der Justiz als auch mit dem Umgang mit legislatorischem Unrecht beschäftigen werden.
Mit der Aufarbeitung von NS-Kontinuitäten beschäftigt sich auch die Initiative „Palandt umbenennen“, die von Janwillem van de Loo vorgestellt wurde. Dass Otto Palandt, ein NS-Jurist aus dem Dunstkreis Roland Freislers (Präsident des Volksgerichtshof 1942-1945), weiterhin als Namensgeber des BGB-Standardkommentars dient, obwohl er ihn nie selbst kommentiert hat, sei aus seiner Sicht ein schlicht unhaltbarer Zustand.
Aus der Sicht des Praktikers berichtete Günther Feld, Rechtsanwalt und Staatsanwalt a.D. Wäre der Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung bereits in den 90er Jahren erfolgt, in denen er als Staatsanwalt selbst Verfahren gegen SS-Männer in Köln führte, hätten unzählige weitere Täter aus dieser Zeit vor Gericht verurteilt werden können. Nach der späten Kehrtwende des BGH im Jahr 2016 wurde nur das Urteil gegen Oskar Gröning überhaupt rechtskräftig.
Im Rahmen der Veröffentlichung der Akte Rosenburg merkte Heiko Maas, damals noch als Justizminister, an: „Es gibt kein Ende der Geschichte.“ Der Abend zeigte – ganz in diesem Sinne – verschiedene Perspektiven der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit auf und machte deutlich, warum die mühsame und unbequeme Beschäftigung mit dem Thema gerade heute wichtig ist.