
Mechtild Düsing wird am 29. September 2019 ihren 75. Geburtstag feiern. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Münster und München wurde sie 1973 Anwältin. Nach einer Zeit der Selbstständigkeit in einer Einzelpraxis gründete sie zusammen mit zwei Anwälten 1973 die Kanzlei Meisterernst Düsing Manstetten. 1983 wurde sie zur Notarin ernannt (bis 2014). Seit 1988 ist sie Fachanwältin für Verwaltungsrecht, seit 2006 Fachanwältin für Erbrecht und seit 2010 Fachanwältin für Agrarrecht. Dem Vorstand des DAV gehörte sie von 2005 bis 2009 und von 2011 bis zum Anwaltstag 2019 an. Als Gründungsvorsitzende der 2004 gegründeten Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen wird Mechtild Düsing in Kreisen des Deutschen Anwaltvereins als Kämpferin für die Sache der Anwältinnen wahrgenommen. Übersehen wird, dass sie eine herausragende Verfassungs- und Europarechtlerin ist. Sie hat viele Verfahren vor den Europäischen Gerichten und vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen und hat sich ab 2009 für den Deutschen Juristinnenbund und die Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen in der Aktion „Frauen in die Aufsichtsräte“ engagiert, die letztlich zur Frauenquote in Aufsichtsräten geführt hat. Dem DAV Verfassungsrechtsausschuss gehört sie seit 2001 an. Mechtild Düsing hat drei erwachsene Kinder. Am 11. September 2019 verleiht der DAV ihr den Maria-Otto-Preis.
Als Sie 1973 Anwältin wurden, war das noch etwas Besonderes. Ist Ihr Kampf für die Gleichberechtigung erfolgreich gewesen?
Ja. Der Kampf war erfolgreich. Jedenfalls bin ich nicht unzufrieden mit dem Ergebnis.
Gibt es in der Anwaltschaft heute Gleichberechtigung?
Leider sind wir noch nicht so weit, wie ich es mir wünschen würde. In den „oberen Etagen“ der großen Anwaltskanzleien dominieren immer noch die Männer. Auch in den Anwaltskammern finden sich vor allem Männer. Aber: Wir sind auf dem besten Weg, dass sich das ändert. Das ist am Ende wichtig.
Woran hapert es heute in den Kanzleien?
Offen gesagt: Ich weiß es nicht genau. Einerseits kommen vielleicht zu wenig Frauen mit Begeisterung für den Anwaltsberuf in die Kanzleien. Andererseits wissen wir, dass die Frauen durchaus als Anwältinnen in den Beruf starten, dann aber nicht lange bleiben – ob sie nun in die Wirtschaft oder in die Justiz oder wo auch immer hingehen. Meine These nach all den Jahren: Es hapert noch immer an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Kanzleien.
Woran hapert es in den Kammern?
Die alten Herren haben so ein Sitzfleisch [lacht], dass die jungen Frauen da nicht in die Ämter kommen, insbesondere eben nicht an die Spitze einer Anwaltkskammer oder der Bundesrechtsanwaltskammer. Die BRAK hatte nie eine Präsidentin – und es sieht nicht so aus als ob es demnächst eine geben würde.
Der DAV hat auch lange bis zur ersten Präsidentin gebraucht ...
Immerhin sind wir Vorreiter gegenüber der BRAK. Wir haben jetzt seit dem Frühjahr eine Präsidentin, das ist sehr schön. Das Eis ist gebrochen und ich hoffe, dass sich jetzt Männer und Frauen an der Spitze dort abwechseln werden.
Die jungen Frauen drängen in die Unternehmen als Syndikusrechtsanwältinnen. Die Kanzleiwelt ist deutlich weniger attraktiv. Was muss sie ganz konkret ändern?
Der Beruf des Anwalts oder der Anwältin ist noch immer zu männlich geprägt. Deshalb ist er nicht so richtig in den Fokus der jungen Frauen, der Absolventinnen des zweiten Staatsexamens gerückt. Vielleicht müssen gerade die Anwältinnen als Vorbilder für die Frauen in die Universitäten und in die Arbeitsgemeinschaften der Referendare gehen, um für den Anwaltsberuf zu werben. Der Anwaltsberuf ist attraktiv, er ist nach meiner Meinung viel attraktiver als die Tätigkeit als Syndikusanwältin, weil er viel mehr Freiheiten bietet. Diese Freiheit sollten Frauen nutzen: Ich habe drei Kinder überwiegend alleinerziehend großgezogen.
Wer war Maria Otto?
Die Geschichte der Anwältinnen begann erst am 7. Dezember 1922. Damals wurde Dr. Maria Otto als erste Frau in München als Anwältin zugelassen. Es war trotz der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 noch ein harter Weg gewesen. Die Vertreterversammlung des Deutschen Anwaltvereins hatte noch im Januar 1922 nach hitzigen Diskussionen mit 45 zu 42 Stimmen den Beschluss gefasst: „Die Frau eignet sich nicht zur Rechtsanwaltschaft oder zum Richteramt.“ Inzwischen gibt es rund 58.000 Anwältinnen, mehr als ein Drittel der Anwaltschaft ist weiblich. Und: 2017 wurden erstmals mehr Frauen als Männer zur Anwaltschaft zugelassen.

Anwältinnen sind noch immer eher in den weniger profitablen Rechtsgebieten tätig. Was muss sich ändern?
Die Wahl des Rechtsgebiets ist für eine Anwältin eine ganz wichtige Frage. Sie sollten nicht nur danach gehen, was ihnen liegt, sondern auch im Blick haben: Wo habe ich die besseren Chancen, wo ist vielleicht das interessantere Rechtsgebiet, welche Mandate sind profitabel. Entdeckt man ein Rechtsproblem, das bis zu den Bundesgerichten, zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof gebracht werden kann, benötigt man den richtigen Kläger.
Ein Beispiel?
Ich habe das in Numerus-clausus-Prozessen so praktiziert. Da sind wir bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen. Bei meinen Milchquoten-Fällen waren wir beim Europäischen Gerichtshof. Und bei der vollen Absetzbarkeit von Kindererziehungskosten für Selbstständige haben wir beim Bundesverfassungsgericht zwar nicht ganz gewonnen, immerhin aber höhere Freibeträge durchgesetzt.
Kein Mann ist gegen Gleichberechtigung. Aber wo liegen dann die Probleme?
Ob kein Mann gegen Gleichberechtigung ist, das bezweifele ich. Ich bin immer wieder auf hochkarätigen Veranstaltungen, wo ich Männer treffe, die es besser finden, wenn die Frauen sich zu Hause um die Kinder kümmern. Das klassische Rollenmodell gibt es immer noch. Und manche Frauen – das räume ich ein – haben auch diese Einstellung.
Stehen die Frauen sich manchmal selbst im Weg?
Ja, das sehe ich so. Sie schwanken zu sehr hin und her zwischen dem Anspruch auf Gleichberechtigung, aber eben auch der tradierten Frauenrolle. Sie verlangen von ihren Partnern nicht, dass diese wirklich gleichberechtigt an Haushalt und Kindererziehung mitwirken. Das ist der Karriere auf keinen Fall förderlich.
Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist heute nicht nur bei jungen Anwältinnen, sondern auch bei jungen Anwälten ein Thema. Frauen erleben es aber als Karriereknick, Männer macht es sympathisch. Was muss sich ändern?
Das stimmt. Die jungen Männer kümmern sich heute mehr um Kinder und Haushalt. Noch lange nicht machen Männer und Frauen das aber wirklich halbe-halbe. Da sind wir noch lange nicht.
Sie haben im DAV-Vorstand immer für die Anwältinnen gekämpft. Woraus haben Sie die Kraft geschöpft?
Ich bin eine 68er. Schon als Studentin, dann als Referendarin habe ich sehr engagiert für die Gleichberechtigung gekämpft. Das ist mein Thema bis heute. Junge Anwältinnen haben es heute einfacher.
Was geben Sie den Frauen als Rat mit?
Manchmal habe ich den Eindruck, dass sie noch zu wenig Selbstbewusstsein haben. Sie sollten ihren Weg unbedingt konsequent verfolgen und nicht die Ziele im Beruf vernachlässigen. Sie sollten nicht zu sehr zwischen diesen zwei Rollen Familienmensch und Mutter sowie Beruf hin und her schwanken. Der Beruf begleitet einen das ganze Leben – Kinder werden irgendwann auch flügge. Am Ende muss jede (und jeder) natürlich wissen, was für sie oder für ihn zählt. Man muss einfach wissen, was man will.
Bedarf es noch solcher kämpferischer Frauen, die das Thema Gleichberechtigung mit der gleichen Vehemenz wie die 68er-Generation vorantreiben?
Ja. Wenn ich jetzt sehe, dass wir nur noch 30 Prozent Frauen im Bundestag haben, dann geht das Erkämpfte auch ruckzuck wieder verloren. Das geht ja wohl gar nicht, das kann ja nicht wahr sein!
10 Jahre Maria-Otto-Preis
Der Deutsche Anwaltverein hat in Erinnerung an Dr. Maria Otto 2009 seinen Anwältinnenpreis nach ihr benannt. Mit dem Preis ehrt der DAV vorrangig herausragende Rechtsanwältinnen, die sich als Rechtsanwältinnen in Beruf, Justiz, Politik und Gesellschaft verdient gemacht haben oder eine besondere Vorbildfunktion für Anwältinnen haben. Ausgezeichnet werden können aber auch Personen oder Organisationen, die sich in besonderem Maße um die Belange der Anwältinnen verdient gemacht haben. Benannt ist der Preis nach der ersten Rechtsanwältin in Deutschland. Erste Preisträgerin war 2010 die Rechtsanwältin Dr. Gisela Wild. 1983 erkämpfte sie mit einer Kollegin das Volkszählungsurteil.

Wenn Sie auf 47 Jahre Anwaltschaft zurückblicken, was war der größte Wandel im Rückblick?
Ich habe angefangen mit dem Modernsten, was es damals gab, einer IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine. Die meisten Kollegen hatten noch eine mechanische Schreibmaschine. Als ich mit dem ersten Fax ins Büro kam, sagte mein Partner: Oh nein! Dann muss ich ja jetzt immer noch schneller arbeiten. Die Herausforderungen der Technik und Digitalisierung sind offensichtlich.
Und was war Ihr größter Erfolg?
Meine Prozesse beim Europäischen Gerichtshof. Da habe ich den Musterprozess für die Entschädigung wegen legislativen Unrechts gewonnen.
Noch länger sind die Männer in der Überzahl in der Anwaltschaft. Ist die Aussage „Die Zukunft der Anwaltschaft ist weiblich“ richtig oder falsch?
Angesichts der Tatsache, dass die Frauen jetzt in Massen Jura studieren, wird das wohl richtig sein. Als ich in München studierte, war ich mit meiner Mutter im juristischen Seminar. Wir standen am Fuße einer Treppe, die Vorlesung war zu Ende, da kamen die Studenten die Treppe herunter, und meine Mutter sagte zu mir: Mein Gott, Mechtild, so viele Männer. Die war total erschüttert.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wie sollte sich die Anwaltschaft in den nächsten zehn Jahren ändern?
Ein Thema haben wir noch nicht angesprochen, das mir wichtig ist. Als ich als Anwältin anfing, wollte ich die Freiheit der Menschen gegenüber dem Staat verteidigen. Das war für die 68er der einzige Grund, warum man Jura studierte. Ich bin dann auch Fachanwältin für Verwaltungsrecht geworden und die meisten Prozesse haben sich gegen den Staat gerichtet. Die Anwaltschaft darf nicht nur das Kapital und das eigene Geldverdienen im Auge haben, sie muss die Freiheit der Einzelnen verteidigen. Das ist ein Kernthema für die Anwaltschaft. Noch gibt es genug Anwältinnen und Anwälte, die sich hier einsetzen.
Was macht am Ende die Anwältin, den Anwalt aus?
Die Anwältin – eigentlich sollte man auch in der BRAO nicht mehr von „der Anwalt“, sondern nur noch von „der Anwältin“ sprechen – sollte im Auge haben, dass sie Garant des Rechtsstaates ist. Sie sollte darauf achten, dass die Gesetze eingehalten werden, dass die Demokratie geschützt wird und dass die Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat, aber auch Privaten geschützt werden.