Ein etwas grauer Nachmittag in der Kölner City, eine belebte Bäckerei mit angeschlossenem Bistro – zwei Menschen in weißen Hemden an einem kleinen Holztisch. Es ist erst wenige Tage her, dass Marc Michelske sein Ornat wieder in den Kleiderschrank gehängt hat. Seit Aschermittwoch ist alles vorbei, nicht wahr? „Nun, wie lange man noch meint, Prinz sein zu wollen, hängt vermutlich von jedem persönlich ab“, erwidert „Prinz Marc I.“ und schmunzelt. „Für mich kann ich sagen, dass ich es nicht mehr brauche. Natürlich war es wunderschön, hat mir viel gegeben und ich hoffe, ich habe den Karnevalisten, den Bürgern unserer Stadt und auch allen Gästen, die hier in Köln waren, viel zurückgeben können.“ Nun freue er sich karnevalistisch wieder „in eine der hinteren Reihen zurückzutreten“, bekennt der 35-jährige Anwalt und Familienvater.
Rund 460 Veranstaltungsorte hat das Kölner Dreigestirn in dieser Session zwischen seiner Proklamation am 11. Januar 2019 und Aschermittwoch (6. März) besucht, wacker die vielen Sponsoren-, Foto- und Charity-Termine absolviert. Rechnet man die Veranstaltungen und Meetings ein, die seit September des Vorjahres notwendig waren, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, der seinen ersten Höhepunkt am Elften im Elften fand, lässt sich erahnen, welch hoher persönlicher Einsatz den höchsten Repräsentanten im Kölner Karneval bei allem Spaß abverlangt wird.
Erstmals seit 1955 stellten in diesem Jahr drei verschiedene Gesellschaften das Dreigestirn. Als ihn sein Freund, der spätere Bauer Marcus Meyer darauf ansprach, sei er zunächst noch skeptisch gewesen, erzählt Marc Michelske. „Ich habe über Jahre gesagt, das ist eine Utopie – wir als Dreigestirn. Auch als Kind waren das für mich immer ganz besondere Menschen; das konnte man nicht einfach so werden“.
Im Herzen des Straßenkarnevals, der Kölner Südstadt, geboren, musste Marc Michelske nicht lange überlegen. Zwar lebt er mit seiner Frau und zwei Töchtern und einem Sohn mittlerweile im Kölner Westen, emotional verbinde ihn jedoch noch viel mit dem Veedel, aus dem seit einigen Jahren auch wieder Rosenmontagszug startet.
Erinnern Sie sich noch an ihr erstes Kostüm, Herr Michelske? „Aktiv nicht, aber es existieren jede Menge Foto von mir und meinen Eltern; da habe ich meistens eine Latzhose an und bin Cowboy mit Hut und Pistole.“ Nachdem auch die Gemahlin eingewilligt und mit Michael Everwand eine „liebliche“ Jungfrau ausgemacht war, meldete Vater Michelske das Trio zur Bewerbung an.
Bis Ende Mai dürfen die Präsidenten der dem Festkomitee Kölner Karneval angeschlossenen Gesellschaften und Vereine Bewerbungen bei dessen Vorstand einreichen. An einem erst kurz vorab bekannt gegebenen Ort werden die Aspiranten dann „auf Herz und Nieren“ befragt, bevor das Komitee seine Entscheidung bekannt gibt.
Wer führt die Kanzlei weiter?

Neben dem persönlichen Eindruck seien es viele praktische Fragen gewesen, die im Auswahlgespräch gestellt würden: „Wer führt die Kanzlei in der Zeit weiter? Wie ist das mit den Mitarbeitern? Wer kümmert sich um die Gerichtstermine? Wie soll das mit Frau und Kindern ablaufen?“ „Man geht ja einfach, also in unserem Fall, zwei Monate von allem weg, lebt im Hotel“, sagt Marc Michelske. Eine detaillierte Profil- Planung, Bühnen- und Kameratrainings, Anproben beim Schneider, Routen- und Terminabstimmungen; vom Protokollleiter erhalten Prinz, Bauer und Jungfrau ein aus jahrelanger Erfahrung entwickeltes Handout, in dem beschrieben wird, welche Punkte innerhalb welcher Zeit abgeklärt sein sollten. Ohne die Unterstützung von Familie, Freunden und Kollegen sei das neben dem eigentlichen Job kaum zu stemmen.
In Bürogemeinschaft mit seinem Vater, bei dem er schon als Referendar jobbte, betreibt Marc Michelske im wahren Leben die auf Verkehrsrecht spezialisierte Sozietät Michelske & Breuer im Westen Kölns. Nach der Zulassung vor fünf Jahren spezialisierte er sich weiter, erwarb den Fachanwalt und ist seit nunmehr 1,5 Jahren als Vertragsanwalt für den ADAC tätig. „Als Anwalt bin ich nicht so, wie als Privatperson, ich bin eigentlich ruhig und zurückhaltend“, sagt er über sich selbst. Im Gerichtssaal und bei Mandanten sei das, lagebedingt auch mal anders. „Jedenfalls aber bin ich nicht der Typ, der in der Mitte steht und auf dem Tisch tanzt.“ Ganz anders in der Prinzen-Rolle als Teil des Dreigestirns – Kölle Alaaf!
„Jeder in der Kölner Stadtgesellschaft, der möchte, wird besucht und auf diese Weise integriert“, erklärt Prinz Marc I. „Er bekommt unser Brauchtum vor- und dargestellt. Das ist einfach ein sehr, sehr schöner Gedanke.“ Nach wie vor habe er hohen Respekt vor der Position, erzählt überzeugend von „Leuchten in den Augen“ der einen, von anderen, die angefangen hätten zu weinen, weil sie sich so gefreut hätten das Dreigestirn zu sehen. Eine hochbetagte, aber rüstige Dame im Pflegeheim etwa, habe seine Hand ergriffen und freudestrahlend ausgerufen: ‚96 Jahre musste ich erst alt werden, um den Prinzen kennenlernen zu dürfen!‘ „Wer so eine Rolle spielt, der sollte und darf nicht enttäuschen“, sagt der abgedankte Karnevalsregent. „Das habe ich dem Festkomitee auch gesagt, dass ich da sehr demütig bin.“
Ihm und seinen Mitstreitern sei es ein Anliegen gewesen, ein „bodenständiges und herzliches“ Dreigestirn zu geben, denn das mache den Kölner Karneval aus. „Hier muss keiner abgehoben sein – wir tanzen alle zusammen auf der Straße oder in der Kneipe, egal woher oder was man kann oder wer man ist“, betont Michelske. „Das spielt keine Rolle, und das ist für mich auch das, was ein Dreigestirn verkörpert.“