
1984–1992
Gymnasium Walsrode
1994–1999
Jurastudium Universität Hannover
1999–2001
Referendariat
2001
Selbstständiger Rechtsanwalt in Soltau
2005
Fachanwalt für Arbeitsrecht und
für Sozialrecht
2006
Eigene Kanzlei in Bad Fallingbostel
Es gibt einen Satz, der Steffen Ahrens beschreibt, weil er ihn nie, wirklich niemals sagen würde. „Das war schon immer so.“ Vielleicht kann man sogar so weit gehen und behaupten: „Das war schon immer so“ ist eine Haltung, an der sich Ahrens reibt, seit er selbst denken kann. Als Teenager, als er alles andere als ein pflegeleichter Schüler ist. Als 19-jähriger Ratsherr des Städtchens Fallingbostel, dessen Bürgermeisterkandidat er Jahre später werden sollte – erfolglos. Und als Parteigänger. Nach 25 Jahren in der SPD tritt Ahrens 2016 aus der Partei aus, der schon sein Vater angehörte. „Die Schnittmenge stimmte einfach nicht mehr“, sagt Ahrens, „die Haltung der Partei zur Vorratsdatenspeicherung brachte das Fass zum Überlaufen.“ Andere warten ab, arrangieren sich, suchen ihre Nischen. „Ging nicht mehr“, sagt Ahrens heute knapp. Nur weil das eben schon immer so war.
Seit 12 Jahren führt er jetzt seine eigene Kanzlei in Bad Fallingbostel – wobei der Terminus „eigene Kanzlei“ für seinen weiteren Berufsweg noch eine nicht unerhebliche Rolle spielen wird, wenn es um die Frage geht, wen niedergelassene Rechtsanwälte eigentlich Partner nennen dürfen. Ahrens’ Rechtsgebiete: Arbeits- und Sozialrecht, und dann immer wieder auch Verkehrsrecht. „Es gibt genug zu tun“, sagt Ahrens. Die Kanzlei ist im Erdgeschoss eines kleinen Rotklinkerhauses an einer vielbefahrenen Straße untergebracht. Die Einrichtung: nüchtern, sie dient einem Zweck und nicht dem Versuch, Mandanten mit Pomp vom Erfolg ihres Anwalts zu überzeugen. Sein Team: Schon lange an Bord, und, wie Ahrens betont, hoffentlich auch noch lange. Denn die Mitarbeitersuche ist schon in den Anwaltshauptstädten nicht leicht, auf dem Land erst recht kein Kinderspiel.
Und so versucht der 46-Jährige, ein guter Chef zu sein und setzt sich neuerdings vormittags eine halbe Stunde mit dem Team zusammen, um den Tag zu besprechen und auch den Raum für Privates zu bieten. „Wenn ich mir die Zeit dafür nicht explizit nehme, passiert das sonst nie.“ Ein Satz, der den Mensch Ahrens gut beschreibt. Seine Kolleginnen haben ihn dazu gebracht, auch mal innezuhalten. Vielleicht würde er das sonst nie machen, nicht nur im Büro nicht.
Es gibt doch so viel zu tun! Der Mandantenstrom reißt einfach nicht ab und das soll er andererseits auch nicht – ein altbekanntes Dilemma niedergelassener Anwälte. „Ablehnen will ich eigentlich nicht, wenn der Fall zu meinen Spezialisierungen passt“, sagt Ahrens. Wer ein Problem mit dem Arbeitgeber (oder auch mal Arbeitnehmer) hat, soll in der Region „zu Ahrens“ gehen. Wer den Staat oder andere Organe auf Sozialleistungen verklagen will, ebenso. Oder wenn es auf der Straße gekracht hat. Seit 2005 ist Ahrens Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie für Sozialrecht. An zwei Nachmittagen geht jetzt trotz Tagesgeschäft in der Kanzlei nur der Anrufbeantworter ran, damit der Betrieb mal in Ruhe über ein paar Stunden hinweg die Aktenberge reduziert. Aber dann sind da ja noch die Termine vor Gericht, und die sind eben nicht fußläufig erreichbar, sondern mal in Lüneburg, Hamburg, Celle, Hannover oder Bremen. Radius: 50 bis 150 Kilometer. Strecken, die er bis vor ein paar Monaten mit dem Familienauto zurückgelegt hat. Das war schon immer so. Aber geht das auch anders?
An einem sonnigen Frühsommertag gleitet fast lautlos ein silberfarbener Tesla auf den Parkplatz des Sozialgerichts Lüneburg, laute Heavy-Metal-Musik stoppt, die Tür geht auf und ein gut gelaunter Steffen Ahrens eilt seinen Mandanten entgegen. In der linken Hand hält er die Robe, leicht zerknüllt, die Rechte ist zum Schütteln ausgestreckt. Er kommt ohne Zwischenladen eigentlich überall hin und auch wieder zurück. Warum also nicht Pionier sein und beweisen, dass E-Mobilität auch auf dem Land funktioniert – und es eben immer auch anders geht?
Was vor Gericht als unaufregender Verständigungstermin in einem Verfahren über die strittige Zahlung von Krankenkassenbeiträgen beginnt, wird im weiteren Verlauf zu einem kleinen Gerichtsschauspiel. Leicht verkürzt lässt sich der Fall so darstellen: Musste ein seit Jahrzehnten in Deutschland lebender Italiener, der seit rund 20 Jahren eine deutsche und italienische Rente bezieht, wissen, dass er seit einer Gesetzesänderung vor einigen Jahren auf die ausländischen Renteneinkünfte Krankenkassenbeiträge zahlen muss? Und warum hat ihn seine Krankenkasse nicht darauf hingewiesen, wo sie seine Einkünfte aus anderen Gründen doch kannte?
Am Ende wird die Vertreterin der Krankenkasse mehrere Male hektisch auf dem Gerichtsflur telefoniert haben, die Richterin mit genervt noch zurückhaltend beschrieben sein. Und Ahrens? Sieht die offene Flanke, könnte die Situation mühelos ausnutzen, mit Theaterdonner die Absurdität des Verfahrens unterstreichen und so vermeintlich Boden gut machen. Mag sein, dass ihn die Walsroder Lokalzeitung in einem Artikel mal zweideutig „streitbar“ genannt hat. Und was er selbst vermutlich als widerständig beschreiben würde, könnten andere bockig nennen. Aber ein Streitdarsteller ist er nicht, der die Gelegenheit nutzt, sich auf Kosten seiner Mandanten ins rechte Licht zu setzen. Im Gegenteil. Ahrens schweigt, legt beruhigend die Hand auf den Arm seines Mandanten, als der – nervös – intervenieren will. Ahrens geht es ums Ergebnis – und nicht den Weg dorthin.
Diese Einstellung ist effizient – und wird oft unterschätzt. Denn die Zielorientierung bedeutet nicht, dass Ahrens den Weg scheuen würde. Er hat das in den vergangenen Monaten mit einem Prozessmarathon bewiesen, der ihn einiges an Geld und Zeit gekostet hat und den er am Ende verlor. Einstweilen. Das Urteil, das ihm die Niederlage einbrachte, ist überdies sehr konkret auf den Einzelfall gefasst und wenig geeignet, die strittige Sache abschließend zu regeln. So sieht es Ahrens. Zwei Haltungen standen sich gegenüber. „Das war schon immer so“ traf auf „Alte Zöpfe sind zum Abschneiden da.“ Ahrens Fazit: „Würde ich heute genauso wieder machen.“
Anlass des Streits war etwas, das heute in vielen Branchen längst Normalität ist. „Im Lauf ihres Berufslebens schlagen Menschen eben mal einen neuen Weg ein“, sagt Ahrens und schüttelt den Kopf. Sein einstiger Sozius, Rechtsanwalt wie Ahrens, wollte für eine unbestimmte Zeit seine Zulassung zurückgeben, um als Berufsbetreuer und Mediator zu arbeiten. Später plante er, zusätzlich als Angestellter bei der Bundesanstalt Migration und Flüchtlinge zu arbeiten. Weil Ahrens das Berufsrecht der Rechtsanwälte gut kannte, bat er seine Kammer in Celle um eine Einschätzung. Können wir uns weiterhin ein Büro teilen? „An unserem Alltag würde sich ja nichts ändern“, sagt Ahrens heute, „nur wäre mein Partner eben nicht mehr Rechtsanwalt.“ Geht das also, Rechtsanwalt und Betreuer/Mediator in einem Büro?
Die Celler sagten nein, verwiesen auf das Berufsrecht, und Ahrens sagte: Das wollen wir doch mal sehen. Er verlor in der nächsten Instanz beim Anwaltsgerichtshof Niedersachsen. Und kam dem Berufsstand der Juristen näher, als es ihm manchmal lieb war. Auf das Mantra „Das war schon immer so“ traf er nun immer gehäufter. Und auf die hinter vorgehaltener Hand geäußerte Einschätzung, in der Sache habe er ja recht, „aber“. So erzählt Ahrens seine Version der Geschichte. Rechtsanwälte könnten Bürogemeinschaften nicht mit Mediatoren und Berufsbetreuern unterhalten, da an den Status als Geheimnisträger besondere Anforderungen gerechtfertigt seien – das war die Auffassung des Anwaltssenats des BGH (BGH, AnwBl 2018, 297).
„Was für ein antiquiertes Berufsverständnis steckt denn hinter dieser Argumentation“, sagt Ahrens, der nicht etwa das Berufsrecht vom Kopf auf die Füße stellen will, aber kein Standesrecht will, das noch aus einer Zeit stammt, als Rechtsanwälte Aktenschrank um Aktenschrank mit Papier füllten. „Wir sind mobil, dienstleistungsorientiert, auf dem neuesten Stand, aber tun so, als wären wir mitten in den Achtzigern“, sagt Ahrens. „Und dann wünsche ich mir, dass man mich meinen Beruf einfach machen lässt.“
Hatte das Bundesverfassungsgericht nicht gerade erlaubt, dass Rechtsanwälte mit Apothekern und Ärzten gemeinsame Sache machen dürfen und entsprechend fortschrittlich argumentiert, dass „die begrenzte Überschaubarkeit und zunehmende Komplexität moderner Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse zur Folge (habe), dass Rechtsfragen oft nicht ohne professionellen Sachverstand aus anderen Berufen ausreichend beantwortet werden können?“ Und hatten die Richter nicht sogar gesehen, dass „die Nachfrage nach kombinierten interprofessionellen Dienstleistungen wächst“?
Es gibt ein Foto, das Ahrens mit seinen Anwälten in Karlsruhe beim BGH zeigt. Die drei Männer schauen gelöst in die Kamera, Ahrens lächelt glücklich, obwohl er verloren hat. „Vor dieses Gericht kommt man ja nicht so oft“, sagt er heute trocken. Für den Moment liegt die „Das war schon immer so“-Fraktion noch eine Paragraphenlänge vorne. Aber Ahrens ist erst Mitte vierzig und nimmt gerade richtig Fahrt auf. Das älteste seiner drei Kinder hat das Nest schon verlassen, die beiden anderen gehen aufs Abitur zu. Ahrens hat auch schon ein paar Ideen, wie er die nächsten Jahrzehnte im Beruf verbringen wird, will sich aber nicht allzu sehr in die Karten schauen lassen. Einer wie Ahrens, der sich Zeit seines Lebens eingemischt hat, geht nicht plötzlich auf den Golfplatz, um an seinem Handicap zu feilen.
Wenn Ahrens abschalten will, dreht er in seinem Tesla die Musikanlage auf und lässt Iron Maiden, Metallica oder Slayer aus den Boxen dröhnen. Gut möglich, dass der eine oder andere Treckerfahrer auf der B209 zwischen Amelinghausen und Soltau regelmäßig von einem geräuschlosen Silberpfeil überholt wird, an dessen Steuer der headbangende und laut mitsingende Rechtsanwalt aus Bad Fallingbostel sitzt und für kurze Zeit das Arbeitsrecht Arbeitsrecht und das Sozialrecht Sozialrecht sein lässt. „Heavy Metal“, sagt Ahrens, der sich mit Mitte zwanzig die weit über die Schulter gewachsenen Haare abschneiden ließ, „Heavy Metal ist die friedlichste Musik, die es gibt.“