Ein Unternehmen beabsichtigt, sich an einem anderen Unternehmen zu beteiligen. Im Hinblick auf die Größenordnung dieses Geschäfts gibt es Zweifel daran, ob die eigenen Aufsichtsgremien zustimmen müssen. Die Geschäftsführung gibt bei einem Rechtsanwalt ein Rechtsgutachten zu der Frage in Auftrag, ob das Zustimmungserfordernis besteht. Dieser Auftrag wird mit der Maßgabe erteilt, dass die Frage verneint werden soll. Der Rechtsanwalt erstellt das Gutachten und stellt die Risiken des von ihm vertretenen Rechtsstandpunkts entsprechend der Erwartung des Auftraggebers als gering dar, obwohl sie erheblich sind.
Handelt der Rechtsanwalt unethisch, wenn er das von Mandanten gewünschte Ergebnis unter Vernachlässigung wesentlicher Risiken erreicht?
Die Situation kommt – mit Abwandlungen – immer wieder vor. Das Grundprinzip, dem der Anwalt folgen sollte, ist einfach, seine Anwendung auf konkrete Fälle häufig schwierig.
Das Prinzip: Der Anwalt darf seinen Auftraggeber nicht belügen, und wenn er gutachtet oder sonst Rechtsansichten äußert, die für Dritte bestimmt sind, darf er nicht vorsätzlich beim Dritten falsche Vorstellungen wecken. Das heißt aber nicht, dass jedes Gutachten alle Pro- und Kontra-Argumente verarbeiten und am Ende zu einem abgewogenen Ergebnis kommen muss.
Stets sollte sich der Anwalt fragen (und gegebenenfalls beim Mandanten nachfragen), wofür sein Gutachten verwendet werden soll. Im oben dargestellten Fall sind mehrere Möglichkeiten denkbar, die allerdings zum selben Ergebnis führen: Möglicherweise will die Geschäftsführung für sich selbst eine Antwort auf die Rechtsfrage. Das aber passt nicht zur Weisung, die Frage müsse verneint werden. Das Gutachten kann alternativ zur Absicherung der Geschäftsführung dienen („um etwas in der Akte zu haben“). Und schließlich – das ist wohl der wahrscheinlichste Fall – kann das Gutachten angefordert werden, um es dem Aufsichtsgremium zu zeigen, wenn dort Bedenken bestehen. In allen Alternativen darf der Anwalt nicht gegen seine Überzeugung das Zustimmungserfordernis verneinen. In der ersten Alternative würde er falsch beraten. In der zweiten („für die Schublade“) hilft der Anwalt der Geschäftsführung, eine Aktenlage zu schaffen, die er selbst für falsch hält. Und in der dritten Alternative wird das Aufsichtsgremium bewusst über die Rechtslage getäuscht. Ob all das „nur“ unethisch ist oder auch gegen das Berufs- oder sogar Strafrecht verstößt, sei hier dahingestellt. Anders mag es sein, wenn die Rechtsfrage tatsächlich offen ist. Dann kann der Anwalt einer Rechtsmeinung folgen, die dem Wunsch des Mandanten entspricht und ihm vertretbar erscheint.
Grundsätzliche andere Kriterien gelten, wenn ein Anwalt ein Gutachten im Rahmen einer streitigen Auseinandersetzung schreibt. Dann erwartet nicht nur der Mandant, sondern auch der Adressat des Gutachtens (ein Gericht oder vielleicht auch die Gegenseite), dass der Anwalt das Interesse seines Mandanten vertritt und die Argumente pro und kontra in diesem Interesse gewichtet. Wie weit der Anwalt da gehen mag, muss er nur mit dem eigenen Gewissen ausmachen. Allerdings sollte es auch hier eine Grenze geben. Seinem Selbstverständnis, der anwaltlichen Unabhängigkeit und auch der Anwaltsethik schuldet der Anwalt ein Gutachten, zu dem er stehen kann, ohne „rot zu werden“, das also aus seiner Sicht nicht abwegig ist.
Ein Mitglied aus dem DAV-Ausschuss Anwaltsethik und Anwaltskultur gibt seine ganz persönliche Antwort. Wenn Sie es anders sehen: Schreiben Sie dem Ausschuss (anwaltsblatt@anwaltverein.de). Antworten werden im Anwaltsblatt veröffentlicht.