I. Legal Tech: Spannungsfeld zwischen anwaltlicher und nicht anwaltlicher Dienstleistung
Unter dem Begriff Legal Tech versteht man grundlegend die Verwendung von Technologie, um rechtliche oder rechtsnahe Leistungen zu erbringen (siehe hierzu Riechert, Berufshaftpflichtversicherung, § 1 Rn. 96 ff.). Neue Technologien verändern dabei die Arbeitsweise und das Geschäftsmodell von Kanzleien. Anwälte selbst nutzen künstliche Intelligenz (KI), um schneller an sachverhaltsrelevante Daten zu gelangen, beispielsweise bei einer Legal- oder Tax-Due-Diligence, wenn Informationen für die Bewertung oder kritische Punkte bei einer Fusion zu sammeln sind. Die eingesetzten Algorithmen im Rahmen einer Big Data Analyse erkennen juristische Zusammenhänge und können eine Ersteinschätzung abgeben. Diese Dienstleistungen im Grenzbereich zwischen anwaltlicher und sonstiger Dienstleistung können gegen das Berufsrecht der Anwälte verstoßen oder Anwälte selbst dürfen diese Dienstleistung nicht erbringen, denn Anwälten ist es nicht erlaubt mit anderen Gewerbetreibenden ihren Beruf gemeinschaftlich auszuüben (§ 59 a BRAO). Das RDG regelt auf der anderen Seite für Dienstleister als Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt die Erbringung von außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen. Wenn ein Legal-Tech-Dienstleister als Nicht-Anwalt tätig ist, muss der Dienstleister seine Erlaubnis für eine mögliche auch rechtsberatende Tätigkeit aus dem RDG ableiten (§ 3 RDG). II. Legal-Tech-Dienstleistungen
Grob vereinfacht kann man drei Formen der Dienstleistung unterscheiden:
1. Plattformen
Marktplätze verlagern den Kontakt zwischen Anwalt und Mandanten auf technische Plattformen. Diese Marktplätze funktionieren im Grundsatz so, dass der Rechtsuchende sein Problem schildert und der Anbieter der Plattform die Angaben an einen Anwalt weiterleitet und dieser eine rechtlich verbindliche Auskunft erteilt. Der Mandant als Nutzer der Plattform schließt dabei regelmäßig zwei verschiedene Verträge ab. Einen Vertrag mit dem Betreiber der Plattform. Sie ist ein „Telemedium“ und bietet die Nutzung als entgeltlichen Dienstleistungsvertrag an. Der andere Vertrag kommt mit dem Anwalt zustande, der dann anwaltlich als Erstberater tätig wird. Weder in der Haftung noch zur Versicherung gibt es Besonderheiten. Dabei ist die Grenze zur erlaubnispflichtigen Rechtsdienstleistung dann überschritten, wenn die Plattform den Eindruck erweckt, dass eine anwaltliche Beratung über die Plattform selbst erbracht wird oder die Anwälte wären Mitglieder des Dienstleisters oder dessen Erfüllungsgehilfen statt einer bloßen Vermittlung. Die Plattformen vermeiden den Anschein einer Beratung durch das Design und auch regelmäßig durch klarstellende AGBs.
2. Online-Beratung
Bei der Online-Beratung verdrängen oder ersetzen Rechtsgeneratoren im Massengeschäft die bisher analog geleistete juristische Arbeit. Bekannt sind Plattformen, die mögliche Ansprüche oder Einsprüche gegenüber Unternehmen oder Behörden durchsetzen. Nach der EU-Fluggastrechtverordnung haben Passagiere Ansprüche auf Schadensersatz gegen Fluggesellschaften, wenn der Flug verspätet war. Online-Inkassodienstleister lassen sich diese Ansprüche zum Teil entgeltlich abtreten und setzen die Ansprüche gegen die Fluggesellschaft durch. Es handelt sich dann um einen entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag, um eine Forderung durchzusetzen. Dabei liegt regelmäßig eine Inkassodienstleistung mit Forderungsabtretung nach § 2 Abs. 2 RDG vor. Sie ist erlaubnispflichtig nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG. Versicherungsschutz besteht über die Pflichtversicherung für Inkassodienstleistungen, die grundsätzlich neben der Berufshaftpflichtversicherung für Anwälte abzuschließen ist.
3. Rechtsgeneratoren
Darüber hinaus gibt es Portale als „Legal Tech as a self-service“ oder Chatbots, die juristische Antworten imitieren. In einem Frage-Antwort-Dialog erstellt der Rechtsgenerator Arbeitsverträge, Mietverträge oder Kündigungen. Grundlage für das erstellte Dokument sind die Daten, die der Nutzer online eingibt. Nach einem bestimmten Algorithmus ergeben sich die gewünschten Dokumente. Andere Portale oder Dienstleister bieten an, einen Sachverhalt vereinfacht über ein Dialogportal zu kontrollieren, zum Beispiel wenn der Mandant eigene Angaben zu einer Tätigkeit macht, um zu prüfen, ob eine Selbständigkeit/Angestelltentätigkeit vorliegt. Die Kanzleien beraten diese Dienstleister. Sie stellen die notwendigen Sachverhalte und Rechtsergebnisse zur Verfügung und prüfen, ob die gefundenen Ergebnisse den rechtlichen Anforderungen entsprechen.
Zur Haftung und Deckung sind die zwei Verhältnisse zwischen Anwalt und dem Legal-Tech-Dienstleister, sowie dem Legal-Tech-Unternehmen und seinen Nutzern zu unterscheiden.
a) Verhältnis Anwalt und Legal-Tech-Dienstleister
Im Verhältnis zwischen dem Anwalt und dem Dienstleister handelt es sich grundsätzlich um eine anwaltliche Rechtsberatung. Die Kanzlei berät den Dienstleister zu Rechtsfragen, insbesondere dazu, wie er das Online-Portal und den Rechtsgenerator programmieren muss, um die gewünschten Dokumente oder Aussagen zu erhalten. Der Anwalt hilft dem Legal-Tech-Dienstleister anwaltlich, wie der hinter dem Portal stehende Algorithmus zu gestalten ist. Der Anwalt fasst hierzu abstrakte Sachverhaltskonstellationen zusammen. Er bewertet sie rechtlich und trifft eine allgemeine Entscheidung. Dies ist ähnlich wie bei einem Gutachten zu einer allgemeinen Rechtsfrage zu sehen. Versicherungsschutz nach der Berufshaftpflichtversicherung besteht daher, wenn der Anwalt en Dienstleister der Software zu abstrakten Sachverhaltskonstellationen berät, unabhängig von den konkreten Lebenssachverhalten der Nutzer.
Der Anwalt übernimmt aber nicht die Verantwortung, dass der individuelle Sachverhalt wie bei einer Rechtsberatung auch individuell geprüft und bewertet ist. Der Anwalt kann hier nicht rechtsberatend tätig sein, weil er gar nicht den konkreten Sachverhalt kennt. Der Anwalt kann nur auf die Besonderheiten eines Einzelfalls eingehen, wenn der ihm vorgelegte Vorgang vollständig bekannt ist. Dies ist bei einem Online-Dialog nicht der Fall, da die Aufklärung von vornherein auf die Fragen des Dienstleisters reduziert ist. Er stellt lediglich dem Legal-Tech-Unternehmen speziell seine Rechtskenntnisse zur Verfügung, damit das Unternehmen selbständig handeln kann.
Es besteht daher nur dann Versicherungsschutz für den Anwalt aus seiner Berufshaftpflichtversicherung, wenn er das Legal-Tech-Unternehmen falsch beraten hat, aber nicht wenn das gewünschte Dokument/Ergebnis falsch ist. Das Dokument selbst wird über die Plattform des Unternehmens erzeugt und ist nicht mehr die anwaltliche Dienstleistung. Für diese Risiken hat sich das Unternehmen selbst zu versichern, zum Beispiel durch eine geeignete Deckung als Publikationsorgan mit einem IT-Baustein.
b) Verhältnis Legal-Tech-Dienstleister zum Nutzer
Im Verhältnis zwischen dem Legal-Tech-Dienstleister und dem Nutzer handelt es sich regelmäßig um keine anwaltliche Leistung, was allerdings noch nicht abschließend geklärt ist (siehe dazu Hartung, LR 2018, 137). Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert (§ 2 Abs. 1 RDG). Im Online-Portal folgen die erbrachten Produkte als Dokument oder als Ergebnis einem festen Ablauf. Der Nutzer gibt seine Daten ein und der programmierte Algorithmus findet aus der Klasse gleichartiger Probleme die vorgefertigte Lösung. Beispielsweise erhält der Nutzer einen Arbeitsvertrag oder eine Bewertung zu einem Sachverhalt, ob ein Widerspruch oder eine Klage Aussicht auf Erfolg hat. Der Legal-Tech-Dienstleister berät aber gerade nicht konkret zu einem Einzelfall des Nutzers, sondern hat zuvor die Sachverhalte aggregiert. Es liegt weder eine Sachverhaltsaufklärung vor noch berät das Unternehmen individuell. Die Werbung eines Legal-Tech-Anbieters ist daher irreführend, wenn unter anderem der Eindruck erweckt wird, es wird eine komplette Abwicklung der außergerichtlichen und gerichtlichen Durchsetzung eines Abfindungsanspruchs aus einem gekündigten Arbeitsverhältnis angeboten, obwohl der Kernbereich der juristischen Bearbeitung allein bei den Partneranwälten in alleiniger Verantwortung liegt (LG Bielefeld, AnwBl 2018, 168). Man muss davon ausgehen, dass das Legal-Tech-Unternehmen den Nutzern nur anbietet, zu Fallgruppen rechtliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich dann regelmäßig um die Publikation einer Rechtsmeinung, vergleichbar mit einer umfangreichen Formularsammlung. Das Inhaltsverzeichnis/Index der Formularsammlung ist der hinter dem Vertragsgenerator stehende digitale Algorithmus. Analoge Formularsammlung: Der Nutzer, der einen gewerblichen befristeten Mietvertrag für Geschäftsräume sucht, muss in der Formularsammlung nach den Stichworten gewerblich/nicht-gewerblich und befristet/unbefristet und Geschäftsraum/Wohnraum suchen. Digitaler Vertragsgenerator: Der Frage-Antwort-Dialog frägt nach den gleichen Stichwörtern ab und ordnet dann das passende Dokument dem Nutzer zu. Dabei kann derzeit der Algorithmus noch so detailliert sein, er bleibt immer eine schematisch zuvor ausgedachte Fallsammlung.
Davon zu unterscheiden ist der Fall, wenn der Anwalt sich des Rechtsgenerators bedient. Wenn er als Anwalt eine finale Prüfung vornimmt, liegt im Verhältnis zum Nutzer ein Mandatsvertrag vor. Wenn er als Anwalt auftritt und sich auf das Ergebnis des Generators ohne Prüfung verlässt, wird er im Regelfall schon aufgrund fehlender Sachverhaltsaufklärung und Beratungsleistung für einen Schaden haften. Er muss sein Mandat nach jeder Richtung umfassend wahrnehmen und muss zunächst eruieren, inwieweit Beratungsbedarf besteht, auch wenn er im Internet zur Vorbereitung Formulare bereitstellt (Online-Scheidung per Formular: LG Berlin, AnwBl 2014, 1059).
Allerdings stellt sich die Frage, nach welchem Rechtsrahmen zukünftig autonom handelnde, aber humanistisch trainierte Algorithmen im Bereich der KI beurteilt werden, wenn die Grenzen zwischen selbst lernenden Maschinen und human soziologisch konventionellem Verhalten durch gesellschaftlich akzeptierte Verhaltensmuster und Daten verschwimmen. Beruhigend hat die Bundesregierung auf diese Anfrage konkret für die Rechtsfindung geantwortet: Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass autonom handelnde, aber humanistisch trainierte Algorithmen derzeit oder künftig bei der Entscheidungsfindung staatlicher Gerichte zum Einsatz kommen könnten (BReg. – BT-Drs. 19/3714, 7).