I. Kanzleiorganisation in Bezug auf Verjährungsfristen
Um einen Überblick zu haben, in welchen Mandaten wannund was zu unternehmen ist, ist ein Wiedervorlagesystem erforderlich.Am besten sollte dieses System unterscheiden könnenzwischen unnachgiebigen Verjährungsfristen, prozessualenFristen und anderen Fristen. Die meisten Verjährungsfristenwerden mit dem Jahresende ablaufen – aber bei weitemnicht alle. In jedem (neuen) Aktiv-Mandat ist von Anbeginnein voraussichtliches Verjährungsdatum einzutragenund unter Kontrolle zu nehmen. Bei einer neuen Beauftragungweiß der Anwalt oft noch recht wenig. Aber auch diese wenigenInformationen lassen zumeist schon erahnen, welche Verjährungsregelungeinschlägig sein könnte. Eine zunächst vorgenommeneEinschätzung und entsprechende Eintragung istbei nächster Gelegenheit zu verifizieren und – sobald bessereInformationen zur Verfügung stehen – zu korrigieren. Die inder Akte und im Kalender notierte Frist sollte immer den aktuellstenPrüfungsstand des Anwalts wiedergeben. Bei neu erteilten Informationen muss die bisherige Einschätzung erneutüberprüft werden, ob sie noch haltbar ist.
II. Welche konkreten Daten werden notiert?
Wie auch bei prozessualen Fristen verlangt die Rechtsprechung bei Verjährungsfristen die Eintragung des korrekten berechneten Datums. Tritt Verjährung absehbar mit Ablauf des 31. Dezember ein, ist genau dieses Datum zu notieren. Natürlich ist dies unpraktisch, wenn die Kanzlei beispielsweise Silvester geschlossen ist. Eine alleinige Eintragung einer ablaufenden Verjährungsfrist mit Wiedervorlage am 31. Dezember wäre im Ergebnis sinnlos. Auch wenn die Kanzlei am 31. Dezember besetzt ist,wäre eine ausschließliche Eintragung an diesem Tag aus rein praktischen Gründen nicht zielführend, schließlich könnte ein Schriftsatz nicht „mal eben“ noch am letzten Tag erstellt werden. Ohne ausreichende Vorfristen wird eine geordnete Mandatsführung nicht möglich sein. So hält denn auch die Rechtsprechung Vorfristen für unerlässlich, sofern die notwendige Aktion nicht nur geringen Aufwand bedeutet (vgl. BGH 25. September 2003 – V ZB 17/03).
III. Wie wählt man Vorfristen sinnvoll?
Die Wahl der Vorfristen hängt davon ab, welche konkreten Schritte unternommen werden müssen, um eine wirksame Verjährungshemmung hinzubekommen oder sonst dafür zu sorgen, dass keine Verjährung eintritt:
• Will der Mandant eher keine gerichtliche Auseinandersetzung, wird der Anwalt versuchen, vom Gegner eine Verjährungsverzichtserklärung zu bekommen. Nicht jeder Gegner ist hierzu bereit. Eine Pflicht besteht insoweit ohnehin nicht. Gibt der Gegner innerhalb der gesetzten Frist keinen Verjährungsverzicht ab, sind dann doch gegebenenfalls Schritte zur Hemmung der Verjährung zu ergreifen, die man sich ursprünglich ersparen wollte. Hierzu ist aber vorher das Einverständnis des Mandanten einzuholen, denn diese erforderlichen Maßnahmen lösen im Gegensatz zu einer bloßen Verjährungsverzichtserklärung Kosten aus. Schon vor diesem Hintergrund wird klar, dass man mit dem Begehren „Verjährungsverzicht“ beim Gegner frühzeitig vorstellig werden sollte, um sich nicht selbst das weitere Vorgehen zu verbauen. Will der Mandant keine kostenauslösenden Hemmungsmaßnahmen ergriffen haben, sollte der Anwalt ihn im eigenen Interesse schriftlich über die drohenden Konsequenzen belehren (vgl. BGH 9. Juni 2011 – IX ZR 75/10, AnwBl 2011, 699).
• Ein Mahnbescheidsantrag macht augenscheinlich weniger Arbeit als eine Klageerhebung. Mahnbescheidsanträge werden daher gern noch „auf den letzten Drücker“ auf den Weg gebracht. Doch Achtung: Die geltend gemachte Forderung ist konkret zu bezeichnen, die Höhe der Forderung muss richtig ermittelt und angegeben werden, da Hemmung nur in dieser Höhe, nicht darüber hinaus eintritt; man muss wissen, in welcher Form der Antrag an welches Mahngericht zu richten ist. Das variiert je nach Bundesland. Hier verstecken sich diverse Fehlerquellen, so dass man die Anforderungen des Mahnbescheidsverfahrens nicht unterschätzen sollte. Eine zu knappe Vorfrist sollte man auch hier nicht einplanen.
• Unter Umständen ist vor einem prozessualen Vorgehen eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung einzuholen. Je nach Wunsch des Mandanten kann dieser die Abwicklung mit der Rechtsschutzversicherung selbst vornehmen oder dem Anwalt übertragen. Vor einer Klageerhebung wird der Rechtsschutzversicherer die Klage im Entwurf haben wollen. Die Deckungszusage sollte vorliegen, bevor die Klage dann zu Gericht gereicht wird. Ansonsten könnte der Rechtsschutzversicherer Probleme hinsichtlich der Kostenübernahme machen. Vor dem Jahresende werden sich bei jedem Rechtschutzversicherer die Anfragen naturgemäß häufen, da es anderen Anwälten nicht anders geht. Auch hier sollte man ausreichend zeitlichen Vorlauf einplanen. Um den Entwurf der Klageschrift fertigen zu können, wird man gegebenenfalls noch einmal Rücksprache mit dem Mandanten halten müssen, da oft noch letzte Unterlagen und Informationen fehlen. Also braucht es bereits hierfür eine Wiedervorlage. Dann braucht es mindestens noch eine Wiedervorlage, da man auf die Deckungszusage wartet. So werden einige Akten mit zeitlichem Abstand mehrfach zur Wiedervorlage anstehen müssen. Ganz schlecht wäre an dieser Stelle die Idee, stattdessen die Akte auf dem Schreibtisch liegen zu lassen und abzuwarten, bis die fehlenden Dinge eintreffen. Das geht bestimmt schief.
• Besteht keine Rechtsschutzversicherung, und kann der Mandant die Kosten nicht aufbringen, kann ein PKH- beziehungsweise VKH-Antrag zu stellen sein. Das Antragsformular hat der Mandant selbst ausfüllen, der Anwalt wird es dann zusammen mit dem Entwurf der Klageschrift einreichen. Für das Ausfüllen des Formulars wird der Mandant einige Zeit benötigen. Wenn nötig, muss der Anwalt beim Mandanten auch noch um Erledigung nachhalten. Ein erneuter zwischenzeitlicher Wiedervorlagetermin wäre sinnvoll.
IV. Neue Mandate kurz vor knapp
• Wird kurz vor Ablauf der augenscheinlichen Verjährungsfrist ein neues Mandat angetragen, muss sich der Anwalt sehr schnell entscheiden, ob er dieses Mandat überhaupt annehmen kann und will. Er läuft nämlich Gefahr, nicht rechtzeitig die erforderlichen Unterlagen und Informationen zu bekommen, die für eine Hemmung der Verjährung beispielsweise durch Mahnbescheid oder Klage erforderlich sind. Der Zeitmangel enthebt ihn aber nicht der möglichen Haftung! Kommt der potentielle Mandant mit unvollständigen Informationen und erweckt er den Eindruck, den Rest womöglich nicht zuverlässig beizubringen, sollte man vielleicht besser die Finger von diesem möglichen Mandat lassen. Gemäß § 44 BRAO ist eine Mandatsablehnung unverzüglich zu erklären. Verzögerungen der Ablehnungserklärung können schadenersatzpflichtig machen. Nimmt der Anwalt das Mandat zunächst an, besinnt sich dann aber anders, kann er das Mandat grundsätzlich wieder kündigen. Aber: Je knapper der Verjährungseintritt bevorsteht, desto weniger Überlegungsspielraum verbleibt dem Anwalt. Ansonsten könnte es auf eine ebenfalls schadenersatzpflichtig machende Mandatskündigung zur Unzeit nach § 627 Abs. 2 S. 2 BGB hinauslaufen.
• War vorher bereits ein anderer Anwalt tätig, ist die Fristen und Rechtslage unter Umständen eine ganz andere. Hat der vorher tätige Anwalt vielleicht mit der Gegenseite verhandelt, könnte eine Hemmung durch Verhandeln nach § 203 BGB vorliegen. Wahrscheinlich droht dann jedenfalls nicht mehr mit Ablauf des Jahresendes der Verjährungseintritt, das heißt es muss nicht unmittelbar eine Klageschrift oder ähnliches erstellt werden. Aber das entbindet den Anwalt nicht von der Pflicht, den mutmaßlichen Verjährungseintritt zu berechnen und Fristen einzutragen. Schwierigkeiten kann es hierbei bereiten, den Hemmungszeitraum richtig nachzuvollziehen. Bei Unklarheiten ist unter dem Aspekt des sichersten Weges besser von einer kürzeren Hemmung auszugehen. Eventuell hatte der vorher tätige Kollege bereits einen Mahnbescheid beantragt. Auch hier ist zu berechnen, von wann bis wann eine Hemmung vorlag. Enden die Aktivitäten im Mahnverfahren mit Mitteilung des Widerspruchs des Schuldners, so sind hier noch sechs Monate dazu zu rechnen (§ 204 Abs. 2 BGB), erst das ist das Ende der Hemmung.
• Noch fehleranfälliger wird es, wenn zwar in dem neu angetragenen Mandat eigentlich gar keine Jahresendverjährungsfrist einschlägig ist, aber durch Hemmungstatbestände zufälligerweise der Verjährungseintritt irgendwann um das Jahresende herum droht. Exakte Fristberechnung und exakte Fristnotierung sind unerlässlich, um den Überblick zu behalten. Endet die Frist zufällig durch Hemmungstatbestände am 29. Dezember, so reicht eben eine Fristenwahrung zum 31. Dezember nicht.
• Ebenso kann sich bei Übernahme des Mandats herausstellen, dass möglicherweise oder wahrscheinlich bereits Verjährung eingetreten ist. Der Mandant müsste auf diesen Umstand hingewiesen werden, verbunden mit der Belehrung, dass ein weiteres Vorgehen risikobehaftet wäre. Liegt zudem ein Fehlverhalten eines vorher tätigen Kollegen nahe, wäre der Mandant zusätzlich auf diese Regressmöglichkeit hinzuweisen. Der Mandant könnte dann ein weiteres Mandat zur Regressverfolgung erteilen. Ohne separates Mandat muss der Anwalt in der Regressangelegenheit nicht tätig werden.
V. Alle sitzen im gleichen Boot
Die gleiche Jahresendhektik, die in der eigenen Kanzlei herrscht, haben die Kollegen auch. So wird es vorkommen, dass diverse Kanzleien gleichzeitig ein Fax an das gleiche Gericht senden wollen. Wenn das Empfängerfaxgerät belegt ist, versucht man die Übermittlung wiederholt. Die anderen aber auch. Das wird den Stresspegel nicht senken. Die im Kalender notierte Frist darf als erledigt gestrichen werden, sofern ein positiver Sendebricht an die korrekte Faxnummer mit korrekter Seitenzahl vorliegt. So stauen sich wahrscheinlich immer mehr halbfertige Vorgänge in der Kanzlei auf, je näher das Jahresende tatsächlich rückt. An dieser Stelle kann nur empfohlen werden, lieber ein paar Tage früher dran zu sein. Zumal bei Faxsendungen ganz knapp vor Fristende eine gesteigerte Sorgfaltsplicht gilt. Und ein überlastetes Empfängerfaxgerät entschuldigt nicht. Wiedereinsetzung gibt es bei versäumten Verjährungsfristen leider ohnehin nicht.